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Wichtiges Grundsatzurteil: BGH begrenzt Reise-Anzahlungen auf 20 Prozent bis 30 Tage vor Reisebeginn

Reiserecht(Karlsruhe, 11. Dezember 2014) Anzahlungen für Reise dürfen nur in Ausnahmefällen mehr als 20 Prozent betragen. Dieses wichtige Grundsatzurteile fällte nun der Bundesgerichtshof. “Bei 20 Prozent sollte Schluss ein”, sagte der Vorsitzende Richter Peter Meier-Beck in Karlsruhe. Die Unternehmen können von ihren Kunden zwar unter Umständen höhere Anzahlungen verlangen. Sie müssten das dann aber sachlich rechtfertigen können, hieß es (Az.: X ZR 85/12 u.a.).

In dem Verfahren hatten Verbraucherschutzverbände gegen TUI, Urlaubstours und TC Touristik geklagt. In den AGB der Reiseveranstalter wurden Anzahlungen für Pauschalreisen von bis zu 40 Prozent bis zu 45 Tage vor Reiseantritt verlangt.

Dies begrenzt nun das BGH-Urteil auf 20 Prozent Anzahlung bis 30 Tage vor Reisebeginn. Ausnahmefällen soll es nur Dynamic Packaging geben, wenn Anbieter individuelle Reisepakete zusammenstellen und dazu “minutengenau”
Flüge kaufen müssen. Dies sollen die Vorinstanzen noch einmal prüfen, so die Bundesrichter in Karlsruhe.


Interview mit Dr. Dietrich Kressel, Leiter Recht bei TUI Deutschland, zum BGH Urteil zur Anzahlungshöhe bei Pauschalreisen

Dietrich Kressel
Dietrich Kressel

Herr Kressel, nun hat der BGH unter anderem über die Rechtmäßigkeit der Höhe von Anzahlungen bei Pauschalreisen entschieden. Wie viel Prozent dürfen Reiseveranstalter maximal ansetzen?
Dietrich Kressel: “Der BGH hat keine rechtsverbindliche Anzahlungshöhe festgelegt, fordert allerdings von Reiseveranstaltern bei mehr als 20 Prozent Anzahlung eine Begründung. Wie diese aussehen muss, könnte die Anfang kommenden Jahres zu erwartende Urteilsbegründung zeigen.”

Wie hoch ist die reguläre Anzahlungshöhe bei Pauschalreisen bei TUI? Und welche Auswirkungen hat das Urteil darauf?
Kressel: “Die reguläre Anzahlungshöhe, die für über 90 Prozent der gesamten TUI Produktpalette gilt, liegt bei 25 Prozent. Hierauf hat das Urteil keine Auswirkungen, weil ja faktisch keine rechtsverbindliche Anzahlungshöhe festgelegt wurde. Das heißt auch, dass sich hier für unsere Kunden nichts ändert.”

Die Anzahlung ist höher als die Empfehlung des BGHs, warum?
Kressel: “TUI vertritt die Auffassung, dass der BGH weder jetzt noch durch vorherige Entscheidungen eine verbindliche Anzahlungshöhe festgelegt hat. Das Pauschalreisegeschäft beruht in hohem Maß auf Vorauszahlungen, die durch den Reiseveranstalter vorfinanziert werden müssen.”

Was genau wurde eigentlich in Sachen TUI verhandelt und entschieden?
Kressel: “Der Bundesgerichtshof hat in drei Fällen über die Rechtmäßigkeit der Höhe von Anzahlungen bei Pauschalreisen verhandelt. Bezogen auf TUI gilt, dass lediglich für den sehr geringen Anteil der “gesondert gekennzeichneten Top-Produkte, kurzfristigen und preisreduzierten Specials sowie Sparreisen” die Anzahlungshöhe von derzeit 40 Prozent für zukünftig gebuchte Reisen angepasst werden muss. Über die Anzahlungen anderer preisreduzierter Kurzfristangebote wie etwa X-1-2-Fly, X-TUI sowie Ticketpakete für Musicals und Shows muss das OLG Celle erneut entscheiden, weil man sich hier mit der konkreten Anzahlungshöhe bisher noch gar nicht auseinandergesetzt hatte. Dies betrifft die Masse der preisreduzierten Angebote der TUI.”

Wie geht es jetzt weiter?
Kressel: “Bis zu einer finalen Entscheidung bleibt für den Verbraucher mit Ausnahme von Top-Produkten, preisreduzierten Specials und Sparreisen alles wie gehabt, zumal TUI zum Zeitpunkt der Buchung Teile des Reisepreises an die Leistungsträger weiterreichen muss, beispielsweise die Ticketpreise bei Musicals.”


 

Dokumentation – Bundesgerichtshof zur Höhe von Anzahlungen auf den Reisepreis und zur Bemessung von Rücktrittspauschalen

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat hat sich in drei Verfahren mit der Wirksamkeit von Klauseln in Reisebedingungen zu Anzahlungen auf den Reisepreis, zu dem Zeitpunkt der Fälligkeit des Gesamtpreises und zu Rücktrittspauschalen befasst.

In dem Verfahren X ZR 85/12 verlangt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. von der beklagten Reiseveranstalterin, die u.a. über das Internet im Rahmen eines die Bündelung von Reiseteil- und Einzelleistungen zu einem Leistungspaket (“Dynamic Packaging”) anbietet, es zu unterlassen, beim Abschluss von Pauschalreisen Reisebedingungen zu verwenden, nach denen der Reisende u.a. innerhalb einer Woche nach Erhalt seiner Reisebestätigung eine Anzahlung von 40 % vom Gesamtpreis und den Rest des Reisepreises bis spätestens 45 Tage vor Reiseantritt zu zahlen hat und nach denen bei Flugreisen bei einem Rücktritt des Reisenden gestaffelte Entschädigungspauschalen nach § 651i Abs. 3 BGB*** zu zahlen sind, die bis 30 Tage vor Reisebeginn 40 % des Reisepreises betragen und die stufenweise auf bis zu 90 % ansteigen, die der Reiseveranstalter bei einem Rücktritt am Tag des Reiseantritts oder bei Nichterscheinen beansprucht.

Das Landgericht hat der Beklagten die Verwendung der Klauseln untersagt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die von der Beklagten bei Vertragsabschluss geforderte Anzahlung von 40 % des Reisepreises benachteilige den Vertragspartner unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB*. Auch die Regelung in den AGB der Beklagten, nach der der Restbetrag bereits 45 Tage vor Reiseantritt fällig werde, verstoße gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und § 320 BGB**. Die Klauseln zu den Stornierungsgebühren bei Flugreisen seien wegen Verstoßes gegen § 651i BGB ebenfalls unwirksam.

In dem Fall X ZR 13/14 verlangt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. von der beklagten Reiseveranstalterin, die Verwendung von Reisebedingungen zu unterlassen, nach denen der Reisende innerhalb einer Woche nach Erhalt der Reisebestätigung eine Anzahlung von 25 %, bei Reisen aus “Last-Minute-Programmen” jedoch von 30% zu leisten hat, die Restzahlung jeweils 40 Tage vor Reiseantritt fällig wird und nach denen bei Flugreisen, “Last-Minuten-Reisen” und anderen Reisen jeweils unterschiedlich gestaffelte Rücktrittspauschalen zahlbar sein sollen, die bei Flugreisen mit 25 % des Reisepreises beginnen, die bei einem Rücktritt bis 42 Tage vor Reisebeginn verlangt werden, und bei “Last-Minute-Reisen” mit 40 % bei einem Rücktritt bis zum 30. Tag vor Reisebeginn.

Die Instanzgerichte haben der Beklagten auch in diesem Fall die Verwendung der Klauseln untersagt.

In dem Verfahren X ZR 147/13 verlangt der klagende Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände von der beklagten Reiseveranstalterin, die Verwendung von Reisebedingungen zu unterlassen, nach denen bei Vertragsabschluss gegen Aushändigung der Bestätigung die Anzahlung (die in der Regel 25% beträgt) bei gesondert gekennzeichneten Top-Angeboten sowie ausgewählten, kurzfristigen bzw. preisreduzierten Specials, Sparreisen und Reisen bestimmter Marken sowie Ticket-Paketen aus Leistungsbeschreibungen mit dem Titel “Musicals & Shows” 40 % des Gesamtpreises betragen soll.

Das Landgericht hat der Beklagten die Verwendung der Klausel untersagt. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die von der Beklagten unmittelbar bei Vertragsabschluss geforderte Anzahlung von 40 % des Reisepreises sei weitgehend intransparent, d. h. nicht klar und verständlich und benachteilige den Vertragspartner unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 BGB*.

Der Bundesgerichtshof hat in den beiden ersten Fällen die Revision des Reiseveranstalters insgesamt und im dritten Fall teilweise zurückgewiesen Er hat auch in der Sache X ZR 85/12 die Beklagte als Reiseveranstalterin angesehen, da sie dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu einem Gesamtpreis zur Verfügung stellt.

Damit stellte sich in allen drei Fällen die Frage, ob der Reiseveranstalter eine höhere Anzahlung als die bisher anerkannten 20 % des Reisepreises verlangen kann, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Eine von § 320 BGB abweichende Vorleistungspflicht, wie sie die Verpflichtung des Reisenden zur Leistung einer Anzahlung darstellt, kann durch AGB begründet werden, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Für eine Anzahlung, die 20 % des Reisepreises nicht übersteigt, hat der Bundesgerichtshof genügen lassen, dass es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Vorleistung des Reisenden handelt, der durch den zwingend zu übergebenden Sicherungsschein gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert ist. Die Vereinbarung einer höheren Anzahlungsquote in AGB ist nicht ausgeschlossen, setzt aber zumindest voraus, dass der Reiseveranstalter darlegt, dass die von ihm bei Vertragsschluss zu leistenden Aufwendungen bei denjenigen Reisen, für die die höhere Anzahlung verlangt, typischerweise die geforderte Quote erreichen. Dieser Darlegungspflicht haben die beklagten Reiseveranstalter in den beiden ersten Fällen nicht genügt. Im dritten Fall, in dem der Bundesgerichtshof anders als das Oberlandesgericht die Klausel nur teilweise als unklar angesehen hat, ist dies vom Berufungsgericht noch zu prüfen, an das die Sache hierzu zurückverwiesen worden ist.

Was die Fälligkeit des Gesamtpreises betrifft, hat der Bundesgerichtshof eine Zahlungsverpflichtung bis 30 Tage vor Reisebeginn als angemessen erachtet. Die Reiseveranstalter haben nicht dargetan, dass dieser Zeitraum in einer praktisch relevanten Anzahl von Fällen nicht ausreicht, um bei einer ausbleibenden Zahlung die Reise anderweitig verwerten zu können. Auch die Klauseln betreffend die Rücktrittspauschalen sind unwirksam, da die beklagten Reiseveranstalter nicht ausreichend dargelegt haben, dass gewöhnlich Stornierungskosten in der behaupteten Höhe anfallen.

Urteil vom 9. Dezember 2014 – X ZR 85/12
LG Leipzig – Urteil vom 11. November 2011 – 8 O 3545/10
OLG Dresden – Urteil vom 21. Juni 2012 – 8 U 1900/11

und

Urteil vom 9. Dezember 2014 – X ZR 13/14
LG Frankfurt am Main – Urteil vom 28. März 2013 – 2-24 O 196/12
OLG Frankfurt am Main – Urteil vom 16. Januar 2014 – 16 U 78/13

und

Urteil vom 9. Dezember 2014 – X ZR 147/13
LG Hannover – Urteil vom 30. Oktober 2012 – 18 O 129/12
OLG Celle – Urteil vom 28. November 2013 – 11 U 279/12

* § 307 BGB Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

** § 320 BGB Einrede des nicht erfüllten Vertrages

(1) Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist. Hat die Leistung an mehrere zu erfolgen, so kann dem einzelnen der ihm gebührende Teil bis zur Bewirkung der ganzen Gegenleistung verweigert werden. Die Vorschrift des § 273 Abs. 3 findet keine Anwendung.
(2) Ist von der einen Seite teilweise geleistet worden, so kann die Gegenleistung insoweit nicht verweigert werden, als die Verweigerung nach den Umständen, insbesondere wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde.

*** § 651i Rücktritt vor Reisebeginn

(1) Vor Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurücktreten.

(2) Tritt der Reisende vom Vertrag zurück, so verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Er kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann.

(3) Im Vertrag kann für jede Reiseart unter Berücksichtigung der gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs ein Vomhundertsatz des Reisepreises als Entschädigung festgesetzt werden.