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Auflage machen? Was „Computerbild“ in einer angeblichen Enthüllungsgeschichte über Unister nicht schreibt

Von Carsten Hennig

(Hamburg, 01. Juli 2012) Die Rede ist von „Abzocke“, „Abofalle“ und „illegalen Service-Pauschalen“. In der aktuellen Ausgabe (30.06.) tischt das Special-Interest-Magazin „Computerbild“ (Axel Springer Verlag, verbreitete Auflage zuletzt 500.000) eine angebliche Enthüllungsgeschichte über das Leipziger Internetunternehmen Unister auf. Auf acht Seiten will man die Schlagzeile „Das Abzocke-Imperium“ belegen. Was misslingt. „Skrupellose Methoden“ wirft man dem ambitionierten Unternehmer Thomas Wagner (34) vor, der laut eigenem Bericht mittags in einer Kantine isst und für 600 Euro mit der Freundin zur Miete wohne. Einzig, dass er wie berichtet mit einem Porsche zur Arbeit fahre, wäre ein somit Indiz für den Erfolg seiner Firmengruppe, die seit 2002 für Furore in der Touristik sorgt.

Nachtrag vom 02. Juli 2012 – Beachten Sie dazu auch:
“Computerbild”-Attacke gegen Unister: Die Hintermänner – Anwälte: Zentrale Vorwürfe falsch

In zehn Jahren hat Wagner, dem man unternehmerisches Temperament und einen guten Sinn für gute Geschäfte nachsagen könnte, ein Firmengeflecht mit nachhaltiger Vertriebskraft nicht nur im Verkauf von Reiseleistungen geschaffen. Mit den Portalen ab-in-den-urlaub.de, travel24.com und fluege.de ist er omnipräsent, online wie im TV. Tatsächlich sorgt sein Sinn für Top-Testimonials wie Fußball-Liebling Michael Ballack, TV-Darling Reiner Calmund und das Dschungel-Duo Dirk Back & Sonja Zietlow für Zugkraft, die sich manch anderes Internetunternehmen wünschen würde. Das weckt offenbar Neider.

Unister-Gründer Thomas Wagner
Unister-Gründer Thomas Wagner

Vorweg: Man darf der Unister-Gruppe von Thomas Wagner durchaus Vorwürfe machen. Zum Beispiel wegen Domains mit Namen von Hotel-Partnern, die man kurzum zum besseren Verkauf auf die eigene Firma registrierte. Oder: Man habe Zimmerpreise, die für Großhändler gelten, Endkunden angeboten. Contra heißt es da: Übervorteilung! Pro könnte es lauten: Im Web gelten die Gesetze von Schnelligkeit und Transparent. Untersuchte man die Vorfälle, kam auch zutage, dass die betreffenden Hotel schlichtweg ihre Namen als Domains nicht geschützt hatten, keinen Markenschutz beantragten oder das Vermarktungspotential brach liegen ließen. Und: Dass für ein- und dieselbe Hotelleistung zum Teil höchst unterschiedliche Preise im Web kursieren, ist oft nachgewiesen worden und ein in der Hotellerie kontrovers diskutierter Usus.

Was alles Qualität für Branchendebatten hat. Doch reicht das aus für eine Reißerstory?

Die Coverstory („Computerbild deckt auf“) – offenbar ein Versuch sinkende Auflagenzahlen entgegen zu wirken – wirft etliche Fragen auf. Die Redaktion wirft der Unister-Gruppe „hinterlistige Werbe-Tricks“ vor: Man werbe bei Google gleichzeitig mit mehreren Unternehmen für Flugbuchungen. Ist das tatsächlich verboten? Der Vorwurf „Werbe-Übermacht“ dürfte sogar für etliche Dax-Unternehmen gelten. Da geht es längst nicht mehr um permanente Präsenz in den Suchmaschinen, sondern um Auslesen und Analyse von Nutzerdaten, ums „Eingemachte“. So vertrauen zum Beispiel führende Automobil-Hersteller auf verdeckte Web-Analysen des britischen Unternehmens Sophos 3, wie lange sich jemand das neueste VW-Modell im Web ansehe und dann zum jüngsten BMW-Neuling klicke. Die Erkenntnisse aus diesen Klick-Spuren sind in der Touristik noch Neuland – und würden wohl auf Werbe-Strategien nachhaltigen Einfluss haben. Von „Tricks“ würde dann keine Rede mehr sein, eher von Datenschutz oder von ethischen Richtlinien in der Werbeanalyse. Aber gab es die je?

Ein weiterer zentraler Vorwurf von „Computerbild“ zielt auf eine „Rabatt-Lüge“: Angebliche 70 Prozent Nachlass werden moniert – am Ende sei der Preis stets das gleiche. Attraktive Preisnachlässe dienen seit jeher im Einzelhandel als Werbe-Attraktor. Wer sich von „Sale“ und „3 für 2“ allzu leicht vereinnahmen lässt, sollte vorher die Preise miteinander vergleichen. Gerade im Internet – bei Reisen – ist dies ein leichtes. Zahlreiche andere Portale wie trivago.de oder kayak.com bieten aufschlussreiche Informationen.

Weitere zentrale Vorwürfe von „Computerbild“ zielen auf eine angebliche „Abofalle Reiseversicherung“ und „illegale Service-Pauschalen“. Das sogenannte Opt-out-Verfahren beim Abschließen von Reiseversicherungen – d.h. wer diese nicht abschließen will, muss das vorgesetzte Häkchen entfernen – wird von der EU-Kommission beanstandet, ist aber tatsächlich ein Phänomen, was auch bei anderen namhaften Internet-Portalen bis heute zu beobachten ist. Ob dies einer „Abofalle“ wie bei tatsächlichen Abzocke-Unternehmen, die bis heute zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit kostenpflichtigen Infoportalen über Tiere abkassieren – gleichzusetzen wäre, bleibt fraglich. Vergleicht man die Details einer Onlinebuchung mit dem Kleingedruckten eines Reisevertrags im Reisebüro kommt wohl Ernüchterung auf.

Der Hinweis, bei fluege.de werde „heimlich“ eine „illegale Service-Pauschale“ aufgeschlagen, ist längst nicht hinreichend erklärt und sorgt in der abgedruckten Form nur für Verdruss. Tatsache ist: Servicepauschalen für Flüge sind in Reisebüros landauf landab an der Tagesordnung, weil die Fluggesellschaften keine Provisionen mehr zahlen wollen. Zum Vergleich: Bislang berappen Hotels für Onlinereservierungen bis zu 30 Prozent Kommission an das vermittelnde Portal. Würde dies wegfallen und dem Verbraucher letztendlich auf den Preis aufgeschlagen, käme wohl ganz anderer Unmut auf. „Illegal“ sind Service-Pauschalen nicht, höchstens kritikwürdig. Ein anderer Vergleich: Bucht man eine Bahnfahrt am Schalter, zahlt man ein paar Euro Serviceentgelt – am Automaten entfällt diese.

Unter der Schlagzeile „Die Buchungsfalle“ werden die zentralen Reiseportale ab-in-den-urlaub.de, reisen.de und travel24.com kritisch beäugt. Der Werbeaussage „Bester Preis garantiert“ wird gekontert: „Viele Mitbewerber sind oft sogar günstiger als die Unister-Reiseportale“. Tatsache ist: In der Touristik ändern sich die Preise im sog. Yield Management täglich, sogar mehrmals am Tag. Das Alleinstellungsmerkmal „Bestpreis“ gilt längst nicht exklusiv für alle Vertriebskanäle, was als Einverständnis in der Hotellerie gilt.

Auch der Vorwurf, mittels eines Klicks auf den Button „Reservieren und weiter“ sei „überraschend“ ein Kauf zustande gekommen, bleibt verwunderlich. Erfahrung in der Web-Economy ist, dass mehr als zwei bis drei Buchungsschritte meist zum Abbruch des Kaufvorgangs führen. Amazon und eBay setzen längst auf „One-Stop-Clicking“. Be Unister hat man den betreffenden Button mittlerweile in „Buchen“ umbenannt.

Die Lektüre der Titelgeschichte der „Computerbild“ über Unister und deren Webportale wirft mehr Fragen auf als Antworten. Fachfragen. Klar wird, dass sich in manchen Dingen wie Flugbuchungen noch Branchenstandards über die Ländergrenzen hinweg manifestieren sollten. Dabei geht es laut EU-Verordnung vor allem um die Darstellung aller anfallenden Gebühren und Extrakosten. Branchenbeobachter wissen: Das letzte Urteil ist in dieser Angelegenheit wohl noch nicht gesprochen. Juristisch vertrackte Sachfragen als „Betrug am Kunden“ zu bezeichnen, ist nicht immer hilfreich. Der vorliegende redaktionelle Beitrag von „Computerbild“ zielt nur auf ein Unternehmen hin, nennt Betrugsvorwürfe ohne Roß und Reiter und kann die eigene Schlagzeile „Deutschlands größtes Abzock-Imperium“ nicht überzeugend belegen.

Verwunderlich ist der Tenor der „Computerbild“-Story, gerade den Unister-Gründer Thomas Wagner persönlich anzugreifen; er wurde dazu sogar heimlich fotografiert. Zitiert werden anonyme „Insider“, die keinesfalls „rachsüchtige Ex-Mitarbeiter“ seien und auch keine „Schmutzkampagne fahren“ wollten, ist zu lesen – doch dem Leser drängt sich just dieser Eindruck auf.

Als aufmerksamer Leser hat man spätestens bei diesen Zeilen, dass Faktenreport und Meinungsmache durcheinander gebracht wurden. Was nicht zu lesen ist – und auch das verwundert den mündigen Leser – sind Statements und Entgegnungen zu den Sachfragen. Unister wurde offenbar offiziell befragt, aber nicht zitiert. Stattdessen schließt der Beitrag süffisant: „In diesen Tagen steht das zehnjährige Firmenjubiläum von Unister an – eine rauschende Feier dürftes e wohl kaum noch werden“.

Über den Autor:
Carsten Hennig (41) ist Fachjournalist mit Schwerpunkt Hotellerie und Touristik. Er widmet sich seit rund 15 Jahren „heißen“ Themen, deckt auf, sieht hinter die Kulissen, u.a. mit seinem Online-TV-Format HOTELIER TV. Über Unister und deren Reiseportalen hat er wiederholt kritisch-distanziert in seinem Onlineportal „hottelling“ berichtet.