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Hygienepranger: Aus nun auch in München – Bayerische Verwaltungsrichter zweifeln Konformität mit Europarecht an – Ähnliches Urteil in Baden-Württemberg

(München, 26. März 2013) Vorläufiges Aus für den „Hygienepranger“ nun auch in München: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) untersagt der Stadt München vorläufig, die bei amtlichen Lebensmittelkontrollen festgestellten Hygienemängel im Gastgewerbe auf der eigenen Internetplattform zu veröffentlichen. Die aktuelle Regelung gehe nicht knform mit dem geltenden Europarecht, heißt es zur Begründung. Ende Januar hatte bereits der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Hygienepranger im Ländle vorläufig untersagt.

Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga-Bundesverband, sagte dazu: “Das ist sehr erfreulich, dass uns nun mit in Bayern ein weiterer Verwaltungsgerichthof insoweit recht gegeben hat. Wir haben von Beginn an unsere verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bedenken an den sog. Internetprangern geäußert und das Verfahren in Bayern unterstützt. Dies stellt erneut klar, dass Gastronomen Grundrechtsträger sind und man nicht einfach auf unserem Rücken populistisch Gesetze machen kann.”

Hygienepranger Bayern untersagt

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat in Beschlüssen vom 18. März 2013 der Landeshauptstadt München in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig untersagt, die bei amtlichen Betriebskontrollen festgestellten lebensmittel- bzw. hygienerechtlichen Mängel im Internet auf der hierfür eingerichteten Plattform (www.lgl.bayern.de) zu veröffentlichen. Münchener Gastronomiebetriebe hatten sich vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich gegen die Veröffentlichung der bei Kontrollen festgestellten Mängel zur Wehr gesetzt. Die Beschwerden der Landeshauptstadt München gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts München wurden vom BayVGH in allen Verfahren zurückgewiesen.

Der BayVGH hat erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung. Zum Schutz der Rechte der Antragsteller erscheint es nach Auffassung des Senats deshalb geboten, die geplante Internet-Veröffentlichung vorläufig zu untersagen. Nach einer Vorschrift aus dem deutschen Lebensmittelrecht informiert die Behörde die Öffentlichkeit u.a. dann, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften verstoßen wurde, die dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist.

Nach Auffassung des BayVGH bestehen Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Vorschrift. Denn nach Europarecht sei eine Information der Öffentlichkeit nur bei einem hinreichenden Verdacht eines Gesundheitsrisikos zulässig, die nationale Vorschrift habe hingegen eine deutlich über die Warnung vor Gesundheitsgefahren hinausgehende, generalpräventive Zielsetzung. Zudem hat der Senat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, u.a. weil angesichts der zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen der gesetzlich vorgesehene Schwellenwert von nur 350 Euro für das prognostizierte Bußgeld unverhältnismäßig gering erscheine. Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der Veröffentlichung im Internet, denn die Mängel seien zum Veröffentlichungszeitpunkt häufig bereits behoben. Schließlich sei zweifelhaft, ob die Norm ausreichend bestimmt sei. Denn die Eingriffsschwelle werde lediglich mit der Prognose eines zu erwartenden Bußgelds in Höhe von 350 Euro beschrieben. Die Verwaltungspraxis sei insoweit unvorhersehbar.

Die Beschlüsse des BayVGH sind unanfechtbar.
(Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschlüsse vom 18. März 2013, Az. 9 CE 12.2755 u.a.).

Hygienepranger in Baden-Württemberg: Eilantrag von Gastwirt auch im Beschwerdeverfahren erfolgreich – Bedenken gegen Vereinbarkeit mit EU-Recht und Verfassungsrecht bedürfen der Klärung in Hauptsacheverfahren
Es bestehen Bedenken, ob die Veröffentlichung von Verstößen gegen Verbraucherschutz-Vorschriften des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) im Internet (“Internet-Pranger”) mit EU-Recht und deutschem Verfassungsrecht vereinbar ist. Deshalb kann ein betroffener Gastwirt wegen der mit einer solchen Veröffentlichung einhergehenden Eingriffe in seine Grundrechte verlangen, dass die Veröffentlichung so lange unterbleibt, bis über deren Rechtmäßigkeit in einem Hauptsacheverfahren entschieden ist. Das hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem heute bekannt gegebenen Beschluss vom 28. Januar 2013 entschieden und die Beschwerde des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis (Antragsgegner) gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zurückgewiesen, das dem Eilantrag eines Gastwirts (Antragsteller) aus dem Rhein-Neckar-Kreis stattgegeben hatte.

Der Antragsteller betreibt eine Speisegaststätte. Das Landratsamt stellte dort am 13.09.2012 lebensmittelrechtliche Verstöße fest. Eine weitere Kontrolle nach einer Woche ergab keine Beanstandungen mehr. Am 22.10.2012 veröffentlichte das Landratsamt auf der Homepage des Rhein-Neckar-Kreises unter Nennung von Name, Anschrift und Betreiber der Gaststätte als Grund der Beanstandung: “Mängel bei der Betriebshygiene, ekelerregende Herstellungs- oder Behandlungsverfahren.” Später fügte es den Hinweis hinzu: “Nachkontrolle am 20.09.2012: Mängel beseitigt”. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat auf einen Eilantrag des Antragstellers die Veröffentlichung einstweilen untersagt. Der VGH hat die Beschwerde der Behörde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Untersagung unwirksam wird, wenn der Antragsteller nicht bis zum 1. März 2013 ein gerichtliches Hauptsacheverfahren eingeleitet hat oder sich ein anhängig gemachtes Hauptsacheverfahren ohne Sachentscheidung erledigt.

Die einstweilige Anordnung sei zur Sicherung der Grundrechte des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung und Ausübung seines Berufs geboten. Eine Verbraucherinformation im Internet zu lebensmittelrechtlichen Verstößen eines Unternehmens greife mit ihrer Prangerwirkung schwerwiegend in diese Rechte ein.

Ob die Grundrechtseingriffe rechtmäßig seien, müsse in einem vom Antragsteller anzustrengenden Hauptsacheverfahren geklärt werden. In Rechtsprechung und Literatur würden erhebliche Bedenken geäußert, ob die von der Behörde zur Rechtfertigung ihrer Veröffentlichung angeführte Vorschrift in § 40 Absatz 1a Nr. 2 LFGB mit EU-Recht und Verfassungsrecht vereinbar sei. Danach diene die Veröffentlichung nicht der Abwehr einer konkreten Gesundheitsgefahr, sondern nur dem vorsorgenden Gesundheitsschutz. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 schließe solche Informationen der Öffentlichkeit aber möglicherweise aus. Eine Klärung dieser Frage sei in einem beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Verfahren zu erwarten (Rechtssache C-636/11 Berger). Bezweifelt werde zudem, ob die gesetzliche Voraussetzung für die Veröffentlichung, dass “die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist“, den rechtsstaatlichen Geboten der Normenklarheit und Bestimmtheit gerecht werde. Denn insoweit fehle es an einem objektiven und transparenten Maßstab für die von der Behörde anzustellende Prognose über die Höhe eines Bußgeldes, etwa in Gestalt eines Bußgeldkatalogs. Schließlich bestünden Bedenken, ob die Vorschrift mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit vereinbar sei. Dagegen spreche insbesondere, dass die Dauer der Veröffentlichung nicht gesetzlich geregelt sei, dass ein Bußgeld von 350 Euro im Verhältnis zur Schwere der Grundrechtseingriffe eher als “Bagatelle“ erscheine und dass das Gesetz die Behörde zur Veröffentlichung zwinge, ohne im Einzelfall abwägen zu können. Die Klärung dieser komplexen Rechtsfragen müsse einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die deshalb im Eilverfahren gebotene Abwägung der Folgen einer Gewährung oder Versagung vorläufigen Rechtsschutzes falle zugunsten des Antragstellers aus. Insoweit sei entscheidend, dass eine weitere Veröffentlichung seine Grundrechte erheblich gefährde oder gar irreparabel verletze. Das gelte nicht nur für den Schutz seiner personen- und betriebsbezogenen Daten, sondern maßgeblich auch für seine wirtschaftliche Existenz. Zwar bestünden nach Aktenlage und insbesondere den vorgelegten Lichtbildern keine Zweifel an den vom Landratsamt festgestellten gravierenden Rechtsverstößen. Da die Behörde in ihrer Veröffentlichung jedoch selbst davon ausgehe, dass die Mängel beseitigt seien, und sie auch nicht substantiiert in Frage stelle, dass der Antragsteller die Hygienevorschriften mittlerweile einhalte, sei eine Veröffentlichung zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefahren nicht erforderlich. Die mit der Veröffentlichung ansonsten verfolgten Zwecke des Verbraucherschutzes hätten ein geringeres Gewicht als die Interessen des Antragstellers.

Der Beschluss ist unanfechtbar (9 S 2423/12).